Wahrscheinlich ist der Rhein so ziemlich jedem unter Ihnen ein Begriff. „Klar, in der Schule schon davon gelernt“, wird sich nun so mancher Leser von BRANDHEISS denken. Dass das Quellgebiet, also quasi der Ursprung, vorwiegend im Schweizer Kanton Graubünden liegt und die Mündungsarme nach ca. 1.300 km die Nordsee erreichen, ist auch weitläufig bekannt. Dass der zehntlängste Fluss Europas jedoch zu einer der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt (!) zählt, dürfte für einige neu sein. Immerhin werden über 300 Mio. Tonnen Fracht jährlich am Rhein befördert. Damit bildet er eine wichtige Verkehrsachse, die die großen Ballungs- und Industriezentren am Rhein erschließt und sie miteinander verbindet. Dank eines perfektionierten Radarsystems ist der Rhein selbst bei Nebel rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr befahrbar. Gleich wie im Straßenverkehr führt ein hohes Verkehrsaufkommen jedoch auch am Rhein zu einem höheren Unfallrisiko.
Am 13. Januar 2011 kenterte das doppelwandige Tankmotorschiff „Waldhof“, welches mit 2.400 Tonnen Schwefelsäure beladen war. Das havarierte Schiff trieb in den frühen Morgenstunden und bei Dunkelheit Kiel oben stromabwärts. Dabei rammte die Waldhof ein entgegenkommendes Tankschiff und kam schließlich am Rand der Fahrrinne im flachen Wasser zum Stehen. Zwei der Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben. Der uneingeschränkte Schifffahrtsverkehr konnte erst einen ganzen Monat später wiederaufgenommen werden.
Doch wie passt nun die Feuerwehr in dieses geschehen? Obwohl die zur Bergung herangezogenen Einsatzkräfte äußerst gut und umfangreich ausgebildet waren, zeigte sich rasch, dass kaum jemand über ausreichend Erfahrung für Einsätze auf Binnenschiffen verfügt. Wie verschafft man sich überhaupt Zugang? Ein Loch bohren oder schneiden führt zu unkontrolliertem Wassereinbruch. Wie ist so ein 150 Meter langes Frachtschiff überhaupt beschaffen? Welche Gefahrgüter sind geladen? Wie bedient man Luken und Schleusen? Wie orientiert man sich unter Wasser, wenn alles auf dem Kopf steht, es kein Licht gibt und die Sicht aufgrund des Qualmes gleich Null ist?
Die Liste der Fragen wurde rasch so lange, dass sowohl bei Einsatzorganisationen als auch bei der Politik Handlungsbedarf erkannt wurde; zumal am Rhein nicht nur Güter transportiert werden, sondern auch zahlreiche Passagierschiffe mit bis zu 400 Personen unterwegs sind. Im Gegensatz zu Hochsee-Schiffen müssen diese keine Rettungsboote mitführen. Strategen erkannten somit auch den Bedarf, Rettungskräfte speziell für diese Anforderungen auszubilden. Ein Feuerwehrmann, der zwar über Erfahrungen bei Autounfällen oder Häuserbränden verfügt, stößt bei der Aufgabe, Personen aus einem Schiff bei einer jährlichen Durchschnittstemperatur des Rhein von 6 Grad Celsius zu retten, nämlich rasch an seine fachlichen und körperlichen Grenzen. Die Frage lautete von nun an: „Wer kann einen Brand auf einem Binnenschiff bekämpfen bzw. Rettungseinsätze dort durchführen?“
Die ursprüngliche Idee, ein auf dem Festland fest installiertes Schulungszentrum aufzubauen, wurde aufgrund mehrerer Bedenken und Einsprüche wieder verworfen. So entschloss man sich, die Mobile Übungsanlage Binnengewässer (MÜB) als modernes Ausbildungszentrum zu errichten, wodurch die zukünftigen Trainingsanforderungen wesentlich besser erfüllt werden konnten. Da man vorwiegend mit Chemie- bzw. Gefahrenguttransport am Rhein konfrontiert ist, fiel die Entscheidung sehr rasch, ein ausrangiertes Tankschiff umzubauen. Zu den EUR 180.000,- Anschaffung für den Tanker kamen noch beachtliche EUR 4 Mio. für den Spezialumbau auf einer Fläche von 1.500 m2. Die benötigten Mittel kamen zu 52 % aus der EU, da es sich bei der MÜB um ein länderübergreifendes EU-Projekt handelt, sowie von öffentlicher Hand. Ein Stillstand der Schifffahrt am Rhein – wie beim Unglück 2011 – führt täglich zu einem Verlust von einem zweistelligen Millionenbetrag. Somit sind die anscheinend hohen Anschaffungskosten in Relation zur Schadensbegrenzung schon fast vernachlässigbar. Dabei steht die MÜB Feuerwehren nicht nur zur Verfügung, um schiffs- und wasserspezifische Übungen zu trainieren, sondern auch um grundlegende Feuerwehrtätigkeiten zu üben.
Hierfür stehen eine Atemschutz-Übungsanlage nach Norm sowie eine gasbetriebene Brandsimulationsanlage zur Verfügung. Ladungsbergung aus dem Seecontainer, Eindämmen, Auffangen und Umpumpen oder Retten aus Tiefen kann auf der Anlage geübt werden. So verfügt die Regina Rheni – so der Name des Übungsschiffes – über 9 wesentliche Ausbildungsbereiche: Atemschutz-Übungsanlage; Übungsbecken „Person über Bord“; Leckage-Abwehr; Instabiler Seecontainer; Rohrleckage Tankmotorschiff; Menschenrettung aus Schüttgutfrachtraum; Brandsimulation mit Gas betrieben; Ausbringung von Ölsperren sowie Auf- und Absteigen mit Ausrüstung auf ein Schiff.
Wir von BRANDHEISS haben die Gelegenheit genutzt und durften das Instruktoren-Team der TEXPORT® ACTION DAYS auf der MÜB begleiten. Dabei sei festgehalten, dass jeder der Texport-Instruktoren ein Spezialist auf seinem Gebiet ist. „Man lernt nie aus und Trainingserfahrungen, wie sie hier auf dem Schiff gemacht werden, sind anderswo in dieser Qualität einfach nicht möglich!“, gab uns Marco Pfeufer zu verstehen. Und dieser Mann weiß, wovon er spricht. Immerhin ist er bereits zum vierten Mal bei dieser zweitägigen Trainingseinheit dabei. Er ist auch der Leiter des TEXPORT® Kompetenzteams. Ihn und seine Kollegen lernt man in dieser Funktion unweigerlich bei einer Teilnahme an den ACTION DAYS (einer mehrtägigen Lehrveranstaltung unter der Schirmherschafft von TEXPORT® – wir hatten bereits berichtet) kennen. Doch dieser Besuch dient dazu, die Trainer zu trainieren. Marco bringt es auf den Punkt: „Es ist uns sehr wichtig, dass wir TEXPORT®-Trainer ebenfalls ständig unser Wissen aber auch unsere Erfahrungen erweitern. Nur so ist der hohe Informationsstandard unserer ACTION DAYS zu gewährleisten. Die nächsten zwei Tage werden für den Körper und die Psyche eine Grenzerfahrung darstellen. Aber das ist auch Sinn und Zweck.“
Bei der Führung durch die einzelnen Trainingsabschnitte der MÜB, welche wir von Leutnant Thierry Romilly, dem Kommandanten der MÜB, persönlich erhalten, wird uns langsam klar, warum alle Teilnehmer von „Grenzerfahrungen“ sprechen. Den Anfang stellt die Atemschutz-Übungsanlage dar. Hier wird einem mit komplett angelegtem Atemschutz und Pressluftatmer alles abverlangt. Ein Ergometer, ein Armergometer sowie eine Endlosleiter müssen zur Leistungserhebung „bezwungen“ werden. Wobei man hier eigentlich eher den inneren Schweinehund zu bezwingen hat. Danach geht es in absoluter Dunkelheit über eine 65 m lange Gitterstrecke – den Mäusekäfig. Natürlich noch immer mit angelegtem Atemschutz. Die Strecke bildet die Besonderheiten, die man auf Schiffen wiederfindet, nach: Absteigen durch ein Mannloch, Erkundungen in Laufgängen, im Doppelschiffsrumpf, im Maschinenraum etc. Sie besteht aus Böden unterschiedlicher Materialien und führt über verschiedene Ebenen mit abnehmbaren Hindernissen. Die Teilnehmer haben ausschließlich mit ihrem Tastsinn eine Chance, die Umgebung zu verifizieren. Der Zielraum der Anlage ist der originale Maschinenraum des ehemaligen Tankmotorschiffs. Ziel der Übung ist es, jeden noch so kleinen Raum eines verunfallten Schiffes bei absoluter Dunkelheit auf den Verbleib von Personen oder Hunden zu erkunden. Immerhin können sich in einem Personenschiff bis zu 400 Menschen befinden. Bei uns stellte sich durchaus ein mehr als nur beklemmendes Gefühl bei dieser Station ein. Doch wir waren in bequemer Freizeitkleidung und bei eingeschaltetem Licht im Mäusekäfig. Wer diese Station hinter sich gebracht hat, kann sich endlich wieder auf ein wenig Tageslicht freuen. Diese Freude verfliegt allerdings im Nu, als die nächste Übung von einem der acht auf der MÜB stationierten Ausbilder vorgetragen wird: „Wenn du dich gesammelt hast und sich deine Atmung und dein Puls stabilisiert haben, gehst du zur Absprungkante, springst in den Rhein, versuchst unter Wasser ruhig zu bleiben und lässt dich am Rücken liegend zum Bug treiben. Dort versuchst du über das Netz bzw. die Strickleiter an Bord der MÜB zu gelangen!“ Zur Erinnerung, die Jungs von TEXPORT® befinden sich noch immer in ihren Hightech-Schutzanzügen bei angelegtem Atemschutz. „Das eiskalte Wasser zieht dir die Kraft und Energie so rasch aus dem Körper, ich hätte das nicht für möglich gehalten“, schildert uns einer der Teilnehmer im Anschluss. Auch er zählt zu jenen, denen an der Strickleiter das letzte Quäntchen Kraft und Technik für diese Übung fehlte. Im Übrigen scheiterten an dieser Übung auch schon Weltklasse-Athleten. Es benötigt dafür die richtige Technik, ansonsten geht die Kraft verloren. Einer der auf der MÜB stationierten Trainer zeigt jedoch, dass die Übung – gewusst wie – zu schaffen ist. Der Ordnung halber sei jedoch erwähnt, dass dieser Trainer auch ein höchst erfolgreicher Athlet bei der Firefighter Combat Challenge ist und einen Händedruck aufweist, der einen Redakteur für eine gute Woche in die Arbeitsunfähigkeit befördern kann. Eigentlich könnte man das gesamte achtköpfige MÜB-Trainerteam als eine Art Elite unter der Elite bezeichnen. So zählen mitunter Tour de France Teilnehmer oder ehemalige Fremdenlegionäre zum Team.
Ein weiterer Übungsabschnitt, der mehr als nur ein Aha-Erlebnis hervorbrachte, ist die Station „Instabiler Container“. Kommt es im Zuge eines Schiffunglücks zu einer Verschiebung der Ladung, können sich zahlreiche Probleme für die Einsatzkräfte ergeben. Das gilt allerdings auch bei Unfällen mit Lkw oder Zügen, die Container geladen haben. Hier kann der spezielle Seecontainer horizontal um 35° als auch vertikal um 5° verdreht werden. Ladungssicherung bzw. Ladungsbergung und Absicherung des instabilen Du Containers können ebenso geübt werden wie die Rettung von Menschen von unter Deck eines schräg liegenden Schiffes. Auch ein Wassereinbruch bzw. ein gewisser Wasserstand kann hier eingespielt werden. Dem Kontakt von Rettungskräften mit Flüssigkeiten wird viel Bedeutung geschenkt. Auch wenn den Teilnehmern durch die modernen Schutzanzüge von TEXPORT® bestmöglicher Schutz geboten wird, so lernen die Kameraden eine enorm wichtige Verhaltensregel im Zusammenhang mit Schiffs-Havarien: Sobald es zu einem Kontakt im Inneren des Schiffes mit einer Flüssigkeit kommt (egal ob am Schuh oder am Handschuh beim Kriechgang) muss unverzüglich der Weg zurück angetreten werden, um die Flüssigkeit auf Unbedenklichkeit zu überprüfen. Wir erinnern uns, beim Unfall 2011 waren 2.400 Tonnen Schwefelsäure geladen. Doch wenn in einen Container vorgedrungen werden muss, ist nicht immer ersichtlich, um welches Ladegut es sich handelt bzw. ob dieses noch gesichert ist. Bei dieser Station lässt Leutnant Romilly auch gerne Kameraden, welche keine Erfahrung mit instabilen Containern haben, als erstes Hand anlegen. „Kannst du diesen verschobenen Container öffnen und nachsehen, was da los ist?“, lautet dabei die Anweisung. Wer dann zielgerichtet auf den Container zugeht, diesen öffnet und Meldung macht, bekommt zu hören: „Alles klar, nur im Ernstfall wärst du jetzt verletzt oder sogar tot!“ Die Auflösung folgt prompt und ist so einfach wie logisch: Öffne niemals eine ungesicherte Containertüre nach einem Unfall! Es könnten extrem schwere Güter, die sich verschoben haben, auf der Türe lasten und den, der sie öffnet, quasi „erschlagen“.
„Auch wenn der Ton auf der MÜB gelegentlich rauer werden kann und garantiert jeder Teilnehmer körperlich und mental extrem gefordert wird, am Ende einer Trainingseinheit hast du so viel gelernt und bist froh über die gemachten Erfahrungen!“ Dieser pointierten Zusammenfassung von Marco haben wir eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
„Die MÜB liegt abwechselnd in den Häfen Straßburg, Mulhouse und Mannheim.“
„Auf der MÜB trainierte schon das SEK, GSG 9, THW und sogar Marinesoldaten. Am Ende waren auch sie streichfähig!“
„Der Mäusekäfig sieht harmlos aus, doch nach kürzester Zeit verlierst du völlig die Orientierung.“
„Das Schiff liegt mit Kiel nach oben fest. Du tastest dich im Dunkeln vor. Alle Kabinen stehen auf dem Kopf und es ist das reinste Chaos. Hindernisse stellen sich in den Weg und dann musst du nach Personen suchen!“